Wetterprognose: Sturm und Schnee am Gipfeltag
Morgen sollte der Gipfeltag werden, fünf Mitglieder unseres Teams befinden sich am Berg. Nun gibt der aktuelle Wetterbericht des Leiters der Wetterdienststelle Innsbruck Dr. Gabl Anlass zur Sorge: Heute Abend soll an den hohen Bergen im Karakorum eine Wolkendecke aufziehen, der schon jetzt stürmische Wind im Laufe des Freitags Geschwindigkeiten von bis zu 65 kmh erreichen. Ab Mittag sagt Dr. Gabl zu all dem noch Niederschlag voraus. Das schlechte Wetter wird bis voraussichtlich Dienstag anhalten.
(nach einem Telefongespräch mit Dr. Karl Gabl)
Unterwegs zum Gipfel
Sorin, der Expeditionsleiter, und Stefan sind nicht mehr mit dabei. Sorin musste wegen der Halswirbelverletzung abbrechen, die er sich vor sechs Monaten bei einem Fahrradunfall zugezogen hat. Stefan kam mit der Höhe nicht zurecht. Sein Atemrhythmus wollte sich auch nach mehreren Tagen Ruhe im Basislager nicht auf den geringen Sauerstoffgehalt der Luft dort oben einstellen. Beide haben bereits den Heimweg über den Baltoro angetreten. Andi, der erst am Sonntag spät abends nach zwölfstündigem Abstieg im Basislager eingetroffen ist, will die nächsten Tage pausieren und schließt sich daher weiterhin anderen Expeditionen an.
Die verbliebenen fünf, Christian, Helmut, Alexander, Tassilo und Jeff, befinden sich seit heute Nacht auf dem Weg zum höchsten Punkt des Gasherbrum II. Zusammen mit dem Schweizer Expeditionsteam wollen sie ab Donnerstag die Spur zunächst zum vierten Hochlager auf ca. 7200 Metern, dann zum Gipfel legen und versichern. Wenn das Wetter im Karakorum der Vorhersage entsprechend bis Samstag stabil bleibt, sollte die Zeit zum Erreichen des Gipfels am Freitag und zur Rückkehr ins Basislager reichen. Andi will das nächste Schönwetterfenster in der kommenden Woche nutzen.
(nach einer Aufzeichnung von Annette Kniffler)
Gefangen auf 6500 Metern
Zunächst sah es gut aus. Am Samstag war nur wenig Neuschnee gefallen, die Lawinengefahr zwischen erstem und zweitem Hochlager hatte sich gelegt, und die Meteorologen sagten ein Schönwetterfenster von Montag bis Donnerstag voraus. Der Plan für den Gipfelsturm stand fest: Christian und Jeff sollten als Vorhut am Sonntag, das Trio Helmut, Alexander und Tassilo am Dienstag Richtung Gipfel starten. Andi stieg noch am Samstag mit einem Iren und einem Schweden, Mitgliedern anderer Expeditionen, zum zweiten Hochlager (ca. 6500 Meter) auf, um sich dort zu akklimatisieren.
Nun hat sich das Blatt gewendet! In der Nacht auf Sonntag fielen 40 Zentimeter Neuschnee. Wieder ist die mühsam gelegte Spur verschwunden, eine dicke Schneeschicht verdeckt die gelegten Fixseile. Und wieder herrscht höchste Lawinengefahr. Seit Stunden warten die Kameraden im Basislager, dass Andi vom zweiten Hochlager zurückkehrt. Bisher vergeblich. Nach einer durchschneiten Nacht von einem solchen Hochlager abzusteigen, bedarf nicht nur Überwindung, sondern auch Mut und Risikobereitschaft. Oft bleiben die Bergsteiger lieber oben, obwohl sie die lange Zeit auf der Höhe zusätzlich schwächt.
Das Team im Basislager hat unterdessen den Gipfeltag wieder von Mittwoch beziehungsweise Donnerstag auf unbestimmte Zeit verschoben. Warten! Darauf, dass kein neuer Schnee mehr vom Himmel kommt und der bereits gefallene Schnee sich setzt.
(nach einer Aufzeichnung von Annette Kniffler)
Neuschnee begräbt die bereits verlegten Fixseile
Das Wetter schlägt – wie so oft an den Achttausendern dieser Welt – wilde Kapriolen: Auf strahlenden Sonnenschein und euphorische Zeitpläne von Helmut und Christian folgen Schneegestöber und Frust. Innerhalb von zwei Tagen legt sich mehr als ein Meter Pulverschnee über die Zelte und die bereits bis zum zweiten Hochlager angebrachten Fixseile.
Erst am Mittwoch scheinen dem Team die Verhältnisse am Gasherbrum II wieder passabel. Christian, Helmut, Alexander, Tassilo und Jeff steigen auf und übernachten im Hochlager 1, um am nächsten Tag die Arbeit der Sherpa anderer Expeditionen fortzusetzen: Sie graben die Fixseile bis zu einer Höhe von 6300 Metern aus. Dann müssen sie abbrechen. Die Neuschneeschicht liegt noch immer ohne sichere Unterlage und kann jeden Moment abrutschen. Die Gefahr ist einfach zu groß. Zu allem Überfluss schlägt das Wetter erneut um, wieder fallen Schneeflocken, wieder zieht der Himmel bedrohlich zu. Während Helmut, Alexander und Tassilo trotzdem eine weitere Nacht in Lager 1 bleiben, steigen Christian und Jeff ins Basislager ab und geraten dabei in die Ausläufer einer kolossalen Lawine. Sie rast von der steilen Flanke des Gasherbrum I auf die beiden zu, die Druckwelle reißt sie beinahe zu Boden, der Schneestaub presst sich in Ohren, Nasenlöcher, in jede Ritze ihrer Rucksäcke.
Warten! Auf Sonnenschein und sicherere Verhältnisse. Wir hoffen, dass die Vorhersagen der Meteorologen für das Karakorum zutreffen und das ganze Team am kommenden Samstag in Richtung Eisbruch und Hochlager aufbrechen kann. Wenn das Wetter mitspielt, wollen sie den Gipfel des Gasherbrum II erreichen, ohne nochmals zum Basislager zurückzukehren.
Ein trauriges Ereignis überschattet die schwere Arbeit am Berg: Eine österreichische Bergsteigerin der Nachbarexpedition starb in ihrem Basislagerzelt – vermutlich an einem Gehirnödem.
(nach einer Aufzeichnung von Annette Kniffler)
Das erste Hochlager steht
Um 2 Uhr morgens starten Christian, Helmut, Sorin und Alexander mit rund 14 Kilogramm schweren Rucksäcken. Sie bringen vier Zelte, Gasflaschen, Kocher, Töpfe, Proviant, Isomatten, Eispickel und Schlafsäcke nach oben und richten Lager 1 auf etwa 6000 Metern Höhe ein. Die Route führt sie über einen kürzlich eingestürzten Eisturm und gewaltige Spalten von mehreren Metern Breite. Die schwarzen Löcher wirken unheimlich, einige der Schneebrücken äußerst labil. Umso kürzer die vier sich in der Gefahrenzone bewegen, desto besser: Sie fühlen sich fit, steigen besonders schnell auf und kommen schon nach neun Stunden zurück ins Basislager.
(nach einer Aufzeichnung von Annette Kniffler)
Die Eishölle liegt direkt über uns
Sobald wir den Baltoro-Gletscher im Herzen des Karakorums betreten, wird die Umgebung schlagartig rau und kalt. Fels und Eis soweit das Auge reicht. Die Oasen mit grünem Gras, Edelweiß und Primeln werden rarer, die Berge rundum immer gewaltiger. Am Concordia-Platz blicken wir bei strahlendem Sonnenschein auf den 8611 Meter hohen K2 und den von Sturmwolken überwölbten Gipfel des Broad Peak.
Als wir die Schottermoräne unterhalb des bedrohlich zerklüfteten Gasherbrum-Eisbruchs erreichen, haben schon acht Expeditionen vor uns hier ihr Basislager aufgeschlagen: Bunte Zelte besetzen alle weitläufigen Lagerplätze in der Nähe der einen roten Fahne, die den Einstieg in das gigantische Meer schmutzig weißer Eistürme markiert. Wir finden einen ebenso kleinen wie steilen Hang, auf dem unsere elf Zelte gerade eben unterkommen. Einen ganzen Nachmittag lang schaufeln wir Steine, um ebene Terrassen anzulegen. Auf einer Höhe von 5050 Metern eine Kraft raubende Angelegenheit.
(nach einer Aufzeichnung von Annette Kniffler)
Gefährlicher als Radeln
Während der Jeepfahrt nach Askole wünschen wir uns nicht nur ein Mal zurück aufs Rad. In unserem vergitterten Käfig auf der Rückbank sind wir dem Fahrer auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Er rangiert um die steilen Kehren am 200 Meter tiefen Abgrund, arbeitet sich mit Allradantrieb und gesperrtem Differential über Schneelawinenkegel, die die Offroad-Piste unter sich begraben.
Bei all den losen Felsbrocken auf den Hängen über uns müssen wir an die vielen Unfälle auf dieser Strecke denken; herabstürzende Steine haben in den vergangenen Jahren ganze Bergsteigerteams in den Tod gerissen. Doch heute kommen alle Jeeps unbeschadet in Askole an – nicht nur unsere, sondern auch die der 22-köpfigen italienischen Jubiläumsexpedition um Silvio Mondinelli zum 50. Jahrestag der Broad-Peak-Erstbesteigung und die der deutschen K2-Expedition.
Gemeinsam gehen wir nun durch das tiefe Flusstal des Baltoro-Rivers – mitten drin in der Karawane von rund 500 Baltiträgern, gut einem Dutzend bepackter Mulis sowie Kühen und Ziegen, der Eiweißration für das Basislager. Immer größer werden die Gipfel rundum, immer beeindruckender die Eisbrüche und steiler die Grate. Rechter Hand die schäumende, schmutzig braune Brühe des Gletscherabflusses, vor uns schließlich am Payu-Camp der Gipfel des K2.
(nach einer Aufzeichnung von Annette Kniffler)
Wiedersehen in Baltistan
Das Expeditionsteam ist startklar. Nach einem langen Flug, einem Briefing beim Ministerium in Islamabad und Scherereien wegen des trägen Verbindungsoffiziers sind nun auch unsere Bergkameraden Sorin Nistor und Helmut Hackl sowie die übrigen Mitglieder der diesjährigen G-II-Expedition in Skardu eingetroffen. Wir freuen uns riesig – vor allem darüber, dass Sorin trotz seines Halswirbelbruchs im Februar mit dabei sein kann. Top trainiert, top gesund, top motiviert! Am 19. Juni werden wir gemeinsam in Richtung Basislager aufbrechen; zunächst mit einem Jeep nach Ascole, dann zu Fuß über den Baltoro, einen der größten außerpolaren Gletscher der Welt.
(nach einer Aufzeichnung von Annette Kniffler)